Kurzer Überblick der Geschichte der Heilpädagogik
Seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Heilpädagogik aus der Auseinandersetzung mit den Grenzen der Gesellschaft, insbesondere aus Versuchen heraus Kinder, mit Entwicklungsbereichen außerhalb der Norm, zu beschulen. Dies ist die Entwicklung des pädagogischen Optimismus, d.h. der Optimismus, dass jedes Kind beschulbar ist, wenn seine kognitiven Funktionen bekannt sind und das Lehrmaterial angepasst wird. Diese Entwicklung zieht sich über weite Teile der westlichen Gesellschaft und bildet in Personen und Werken von Pestalozzi, Itard, Séguin, sowie Stern und Binet die historische Wurzel der Heilpädagogik.
Die Heilpädagogik stellt sich bereits in dieser Zeit ins Spannungsfeld zwischen Pädagogik und Medizin, Therapie und Erziehung, Gesellschaft und Person und wird allgemein als angewandte Wissenschaft bezeichnet.
Das Naziregim stellte auch für die Heilpädagogik ein sehr dunkles Zeitalter dar. Die Menschen am Rand der Gesellschaft mit sichtbaren körperlichen und mentalen Beeinträchtigungen wurden als minderwertig und somit als „Leben ohne Wert“ angesehen. Sie wurden Zwangssterilisiert und später unter dem Namen der Eugenetik eliminiert.
Die Wissenschaft besann sich nach Ende des 2. Weltkrieges auf ihre ethische und soziale Verantwortung und es begann der lange Weg zum positiven Gesellschaftsbild der Menschen mit Beeinträchtigung bis hin zur inklusiven Gesellschaftsentwicklung heute.
In Ungarn entstand Anfang des 20. Jahrhunderts die erste Hochschule für Heilpädagogik. An der Universität Zürich wurde 1924 der erste Lehrstuhl für Heilpädagogik besetzt. Die Universität Fribourg (CH) schuf 10 Jahre später einen neuen Lehrstuhl für Pädagogik und Heilpädagogik in deutscher Sprache. 1948 wurde das Heilpädagogische Seminar der Universität Fribourg zum selbständigen Lehr- und Forschungsinstitut benannt. Aus dieser Richtung erschienen dann auch die ersten spezialisierten Lehrbücher des Fachgebietes.
An diesem Heilpädagogischen Seminar der Universität Miséricorde in Fribourg studierten die ersten Luxemburger Heilpädagogen, allen voran Pater Robert A. Koullen, Gründer des Jongenheem in Bettingen an der Mess. 1950 erschien seine Diplomarbeit zum Thema: „Etude sur l’emploi du test de Binet-Simon-Norden auprès des garçons de 14 ans“.
In den darauffolgenden Jahren studierten Schwestern verschiedener Kongregationen in Fribourg: Schwestern vom armen Kinde Jesu aus dem Institut in Rümelingen, Schwestern der hl. Elisabeth aus dem Institut St. Joseph aus Betzdorf und Schwestern der christlichen Lehre (doctrine crétienne), die das Mädchenheim zuerst in Feulen, später dann in Schrassig führten. Schwester Willibrorda Kremer war lange Jahre Direktorin und ermöglichte Studenten der Heilpädagogik ein Praktikum.
In den sechziger Jahren des letzen Jahrhunderts ließen sich dann auch Laien zum Heilpädagogen ausbilden.
Mittlerweile ist die Heilpädagogik in der ganzen Welt präsent und sorgt immer weiter für Aufklärung über das Leben und die Teilhabe von neurodiversen Menschen. Es ist nach wie vor eine Pädagogik des Optimismus, wobei dieses Wort durch Resilienz, Ressourcen, Bedürfnis, Lösungsorientierung und viele andere ergänzt wurde. Die Heilpädagogik ist und bleibt eine angewandte Wissenschaft die sich, in Zusammenarbeit mit Fachleuten angrenzender Wissenschaften, stetig weiterentwickelt und dies nicht zuletzt auch mit und durch Menschen mit Beeinträchtigung.